| Interview mit Katrin Lange
Co-Gründerin von Länggass-Tee in Bern & Mitinhaberin der Casa del Tè im Tessin im Gespräch mit Autorin Christel Maurer, Juni 2018.
Katrin Lange gründete 1983 zusammen mit ihrem Mann Gerhard Lange Länggass-Tee in Bern. In ihrem Laden bietet sie nicht nur günstigen Alltagstee sowie klassische Raritäten aus verschiedenen asiatischen Ländern an. Es besteht zusätzlich die Möglichkeit, japanische Teezeremonien zu erleben und im angrenzenden TeeRaum Tee und eigene Backwaren zu geniessen. Schulungen für Privatpersonen und die Gastronomie finden ebenso statt wie Erlebnisreisen für Kunden in Anbaugebiete des Tees.
Länggass-Tee beschäftigt derzeit fast 40 Mitarbeitende. Nachdem sich Gerhard Lange im März 2018 aus der operativen Leitung zurückzog und nur noch die Buchhaltung macht, besteht die Geschäftsleitung derzeit aus Katrin Lange, ihrem Sohn Kaspar Lange und dessen Partnerin Tina Wagner. Wie sich die drei weiteren Söhne künftig beteiligen werden, ist derzeit noch nicht ganz klar. Seit Januar 2017 führen Katrin Lange und ihr Mann parallel dazu gemeinsam mit Corinne und Tobias Denzler die Casa del Tè auf dem Monte Verità im Tessin, wo Tee verkauft und auch angebaut wird.
Katrin Lange kenne ich seit einigen Jahren, weil wir beide Mitglied bei Business & Professional Women Bern (BPW) sind.
Liebe Katrin, zu Beginn unseres Gespräches interessiert mich, wie Eure Geschäftsidee entstanden ist.
Unsere Geschäftsidee ist ganz spät am Küchentisch in Hamburg entstanden, wo wir damals lebten. Mein Partner Gerhard und ich haben versucht, unser Leben zu skizzieren und wollten unbedingt zusammenarbeiten. Einerseits aus Freude am Zusammensein und weil ich wusste, ich möchte unbedingt eine große Familie haben, aber auf keinen Fall nicht berufstätig sein. Da wir unsere Berufe nicht vereinbaren konnten, kam an diesem Abend die Idee auf, wir machen etwas zusammen! Wir wollten selbstständig sein und selbst bestimmen, wie wir eine Firma führen. Das einzige, wofür wir uns beide brennend interessierten, war Tee. Mein Mann befasste sich leidenschaftlich gerne mit dem Tee und mich begeisterte die Vorstellung, ein Geschäft zu führen. Ich komme aus einem Unternehmerhaushalt, mein Großvater war in der Hotellerie tätig und mich faszinierte vor allem die Gastfreundschaft. Unsere Idee war, dass wir mit einem Teeladen unsere Interessensgebiete verbinden können. Gleichzeitig war es mir wichtig, die Arbeit und das Nichtarbeiten zu verbinden. Mir gefiel die Vorstellung, dass alles eins ist und auch unsere Kinder in diesem Einssein aufwachsen. So haben wir uns zusammen eine eigene Welt kreiert, in der auch die Kinder Platz haben. Das war unser Traum, den wir umzusetzen versucht haben.
Warum war es ausgerechnet der Tee, der Euch fasziniert hat?
Es ist der pure Genuss, der über all die Jahre geblieben ist. Wir fanden kein Getränk köstlicher als Tee. In Hamburg liegt die Beschäftigung mit Tee näher als hier, weil in der Speicherstadt mit Tee gehandelt wird. Ich war es in meinem Elternhaus gewohnt, gute Dinge zu genießen. Bei uns gab es guten Käse, guten Kaffee und guten Wein. Mein Mann hat bescheidener gelebt und für ihn war der Tee seit seiner Kindheit etwas herausragend Gutes. Viele Leute denken, uns hätten asiatische Länder, wie China und Japan sowie deren Geschichte interessiert. Das kam aber erst später dazu. Zu Beginn war es das pure Rohprodukt, das uns gefallen hat. Wir sind immer tiefer in das Thema eingetaucht und haben immer mehr gelernt, was es mit dem Tee auf sich hat. Es entsteht ein gewisser Sog, wenn man sich intensiv mit etwas beschäftigt. Im Lauf der Jahre wurde es immer spannender und auch heute noch wächst die Freude am Thema. Es ist ein riesiges Wissensgebiet und Du kannst so vieles mit Tee machen. Ich komme ursprünglich aus einem medizinischen Beruf und finde es ausgesprochen beeindruckend, beispielsweise mit einem hyperaktiven Kind auf chinesische Art Tee zu trinken. Diese Kinder sitzen eine Stunde lang total ruhig am Tisch und sind fasziniert, weil es darum geht, zu riechen, zu fühlen und sie das Hin- und Hergießen beobachten.
Und ich gestalte gerne. Wir konnten unsere Welt nach den eigenen Vorstellungen kreieren. Auch wenn das vielleicht romantisch klingt, ich glaube an eine schöne Welt. Ich glaube daran, dass es gut sein kann, zu arbeiten, zu leben und zu teilen, sodass die Menschen es gut miteinander haben. Das ist für mich schon immer eine wichtige Antriebsfeder gewesen.
Spielt bei dem was Ihr tut auch die eigene Erfüllung eine Rolle?
Ja, unbedingt. Es ist uns sehr wichtig, dass uns erfüllt, was wir tun. Bei jedem von uns ist es übrigens etwas anderes. Wenn ich beispielsweise Samstagmorgens in unserem TeeRaum Frühstück anbiete, wird mir dabei häufig bewusst, dass es nichts gibt, was ich lieber täte. Das war selbst in den Jahren so, in denen ich an 52 Samstagen diese Aufgabe übernommen habe. Das könnte einem ja auch mal auf die Nerven gehen, aber ich mache das einfach wahnsinnig gerne.
Inwiefern unterscheidet Ihr Euch von einem klassisch geführten Unternehmen? Was ist bei Euch anders?
Ich habe wenig an anderen Orten gearbeitet und weiß nur indirekt, wie ein klassisch geführter Betrieb funktioniert. Wir haben mit inzwischen fast 40 Mitarbeitenden flache Hierarchien und alle Angestellten, einschließlich der Geschäftsleitung, verdienen im Endeffekt den gleichen Lohn. Ausnahmen gibt es nur, wenn jemand sehr wenige Stunden für uns tätig oder lediglich ein bis zwei Monate bei uns eingesetzt ist. Mir ist es immer wichtig gewesen, unsere Arbeit nicht unterschiedlich zu werten. Wenn jemand beispielsweise im Lager arbeitet, sehe ich nicht ein, warum sein oder ihr Tun weniger wert sein soll als meines. Darüber hinaus braucht niemand bei uns eine Rolle zu spielen. Es gibt keine Floskeln oder ein vereinbartes Wording den Kunden gegenüber, wie «schöne Ostern noch». Alle teilen ihre Einschätzung mit den Kundinnen und kleiden sich, wie sie es möchten. Das bedeutet selbstverständlich nicht, eine unter Umständen schlechte Laune den Kunden spüren zu lassen. Außerdem werden möglichst wenige Überstunden gemacht und jemand, der länger bleibt, wird deswegen von der Geschäftsleitung nicht mehr geschätzt. Wir wollen nicht, dass beispielsweise die familiäre Situation eines Mitarbeitenden unter dem Druck am Arbeitsplatz leidet.
Machen auch die Mitglieder der Geschäftsleitung kaum Überstunden?
Ich persönlich arbeite deutlich zu viel. Darauf bin ich nicht stolz. Unsere Kinder machen das besser, sie haben mich auch als schlechtes Beispiel vor Augen. Wenn ich mehr arbeite, schreibe ich die zusätzlichen Stunden nicht auf, das heißt, mein Lohn bleibt der gleiche.
Speziell ist bei uns auch, dass wir in Krankheitsfällen das volle Gehalt zahlen und Lohnfortzahlungen weit über die gesetzlichen Vorschriften hinaus leisten. Es gibt Fälle, in denen wir mehr als zwei Jahre lang den vollen Lohn bezahlt haben, ohne dass die betreffenden Mitarbeitenden einsetzbar gewesen wären. Dies entspricht unserem Verständnis, dass wir schwierige Situationen gemeinsam tragen. Wir handhaben das in der Familie wie in unserem Betrieb. Außerdem versuchen wir den Wünschen der Mitarbeitenden, wann sie frei haben möchten, gerecht zu werden. Meiner Einschätzung nach bieten wir unseren Mitarbeitenden viel Stabilität. Wenn jemand beispielsweise nicht sehr leistungsfähig ist, fragen wir uns, warum die Zusammenarbeit zu wenig gut funktioniert und schauen, ob sich die betreffende Person in einem anderen Bereich wohler fühlt und auch den betrieblichen Erfordernissen besser gerecht wird. Das ist schon auch eine Herausforderung, denn unsere Idee ist, dass alle an allen Orten eingesetzt werden können, weil uns das flexibler macht. Aber es gibt Menschen, die sich im TeeRaum beispielsweise einfach nicht wohl fühlen, weil dort vieles gleichzeitig zu tun ist.
Wir halten jedoch daran fest, dass jeder Mensch, der bei uns arbeitet, wöchentlich eine Stunde Weiterbildung zum Tee erhält. Das gehört zum Einstellungsprofil und das muss man wollen.
Darüber hinaus haben wir uns immer mit eigenem Geld finanziert und Dinge erst dann realisiert, wenn wir die nötigen finanziellen Mittel hatten. Entsprechend gab es nie eine Bank im Rücken, die uns ins Geschäft geredet hat. Das empfinde ich als sehr angenehm. Ein geflügeltes Wort hier im Haus ist, «wir machen, was wir wollen» und dieser Satz fällt häufig, wenn wir etwas tun, das kein Geld einbringt. Und wir tun viel, was keine Finanzen einträgt, einfach weil uns das Arbeiten so viel Spass macht. Wir machen beispielsweise viele Beratungen, die nur indirekt für Einkünfte sorgen. Wenn zum Beispiel ein Museum eine Ausstellung über China organisiert und uns anfragt, wie sie es mit dem Tee handhaben sollen, dann beraten wir, ohne ein Honorar in Rechnung zu stellen. Aber selbstverständlich achten wir darauf, dass wir auch Geld einnehmen und schauen, dass ein Gleichgewicht gewahrt bleibt.
Außerdem betreiben wir kein konventionelles Marketing und werben nur durch unser Tun. Und wir arbeiten seit Jahren mit den gleichen Lieferanten zusammen und wählen diese sorgfältig aus. Seit vielen Jahren ist beispielsweise die gleiche Druckerei – ein Vorzeigebetrieb -für uns tätig. Uns ist es egal, ob eine andere Firma ein bisschen billiger wäre. Wir holen keine Offerten ein, um Preise zu vergleichen. Uns muss ein Betrieb aufgrund seiner Dienstleistung und der Art der Geschäftsführung überzeugen. Es gibt Firmen, mit denen wir seit 35 Jahren zusammenarbeiten. Das ist einfach toll, weil wir uns gut kennen und die Zusammenarbeit sehr angenehm und eingespielt ist. Dabei ist es nicht so, dass wir zu viele Geldmittel hätten. Wir wollen das so. Bei uns geht immer knapp ums Überleben.
Außerdem kann jemand, der oder die bei uns arbeitet, das Familienleben mit der beruflichen Tätigkeit vereinbaren. Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter sein Kind von der Kita abholen muss, machen wir das möglich. Das geht so weit, dass andere Betriebe, in denen beispielsweise eine Mutter des Kindes angestellt ist, erwarten, dass sie keine Rücksicht auf ihr Kind nehmen muss, weil «der Vater arbeitet ja bei Länggass-Tee, da ist alles möglich.» In solchen Fällen rufe ich in der betreffenden Firma schon mal an und sage, das geht so nicht. Dann kann man das besprechen und klären.
Darüber hinaus beginnen wir den Tag mit allen gemeinsam mit einer Befindlichkeitsrunde bezüglich des Betriebs und der Mitarbeitenden. Wir informieren uns über besondere Ereignisse und alle wissen anschliessend, wie es den anderen geht. Die Morgenrunde ist sehr wichtig und dauert etwa 15 Minuten. Außerdem degustieren wir jeden Tag eine halbe Stunde verschiedene Tees und vermitteln Neuerungen in unserem Gebiet. Denn wir wollen ein Fachgeschäft sein und unsere Mitarbeitenden müssen über Tee Bescheid wissen und orientiert sein, wie er schmeckt.
In den Pausen haben die Mitarbeitenden eine eigene Küche und einen Gartenplatz zur Verfügung. Sie können sich vor Ort etwas kochen, oder die Pausen auch außerhalb des Betriebs verbringen. Und wir arbeiten daran, dass sie ihre fixen Pausenzeiten haben und nicht dann Pause machen müssen, wenn gerade wenig los ist, wie es in vielen Geschäften gehandhabt wird.
Gibt es Aspekte hinsichtlich des Betriebsklimas, die bei Euch anders sind, als in einem klassisch geführten Unternehmen?
Ich bin stolz darauf, dass die Mitarbeitenden nicht schlecht über andere Menschen reden. Weder über Kundinnen und Kunden, noch über Kolleginnen und Kollegen. Das ist Teil unserer Firmenphilosophie. Bei uns geht es ziemlich familiär zu, das heisst, es gibt unter Umständen auch mal offenen Streit. Meist sind wir sehr herzlich und lachen viel miteinander. Mir ist es wichtig, dass wir authentisch sind und keine Maske nach außen tragen, ohne dass wir eine Missstimmung für alle sichtbar machen. Wenn jemand mal einen ganz schlechten Tag hat, teilen wir uns das in der Morgenrunde mit und bei Bedarf kann die betreffende Person eher im Hintergrund arbeiten. Es braucht vor allem mit neuen Mitarbeitenden ein feines Abstimmen, um in Hinblick auf authentisch sein nicht übers Ziel hinaus zu schiessen.
Warum habt Ihr Euren Weg gewählt, der ein anderer ist, als der übliche?
Wir haben diesen Weg zwar gewählt, aber wir waren auch sehr jung und haben einiges einfach gemacht. So viel haben wir gar nicht überlegt und waren auch ein bisschen übermütig. Und ich glaube, ich habe Menschen einfach von Herzen gern. Von daher konnte und kann ich ganz viel tun, ohne viel nachzudenken, weil es für mich einfach normal ist. Wie zum Beispiel, dass Mitarbeitende nur glücklich sind, wenn sie ihre Ressourcen leben können. Das heißt, neue Mitarbeitende fangen immer irgendwo an. Eine Person hat beispielsweise damit begonnen, im Lager Tüten abzupacken. Drei Jahre später ist er unser Grafiker, assistiert in der Teeschule und führt Mitarbeitende, weil er es kann und weil er es möchte. Bei uns steht einem vieles offen; die Mitarbeitenden können sich in den Bereichen entwickeln, die ihnen entsprechen. Es ist auch möglich «in einer Winterstimmung» einfach still seinen oder ihren Job zu machen, weil der Lebensunterhalt verdient werden will oder wenn privat ein rechtes Chaos herrscht. Eine Person hat einfach zwei Jahre lang Tüten gepackt, weil es für sie genau richtig war in dieser Situation, danach hat sie wieder andere Aufgaben übernommen. Inzwischen gehe ich mit diesen Themen bewusst um, früher habe ich es einfach so gemacht. Ich bin davon überzeugt, wenn die Menschen in ihrer Welt glücklich sind, hat es einen unglaublichen Einfluss auf die Begegnungen in der Familie oder im Geschäft.
Ihr wart in der Geschäftsleitung ja zu zweit bzw. zu viert und nun seid Ihr zu dritt. Hat jeder und jede einen eigenen Bereich? Kommt Ihr leicht zu gemeinsamen Entscheidungen?
Beides. Als Gerhard, mein Mann, und ich Länggass-Tee alleine geführt haben, hatten wir viel Streit, konnten uns aber eigentlich immer einigen. Im Lauf der Zeit übernahm jeder eigene Bereiche, in die wir uns nicht hinein geredet haben. Mein Mann hat sich mehr um die Finanzen gekümmert und ich mich vermehrt um die Mitarbeitenden sowie die Kundschaft. Grundsätzlich waren wir uns bezüglich unserer Ziele einig und haben beispielsweise auch die Löhne gemeinsam festgelegt. Unsere Vorgehensweisen waren jedoch immer unterschiedlich. Im Januar haben wir beispielsweise immer eine große Sitzung, in der wir das vergangene Jahr überschauen. Für mich ist dies der Moment, um den Mitarbeitenden zu danken. Für meinen Mann steht eher der Jahresabschluss im Vordergrund. In einem Jahr hatten wir einen schlechten Abschluss und haben uns vor dieser Sitzung nicht abgestimmt. Mein Mann hat die Zahlen transparent gemacht und insistiert, so könne es nicht weiter gehen. Ich war zunächst erschrocken, weil ich dies in dieser Sitzung als nicht angemessen empfand und danach hatten wir Streit. Später habe ich gedacht, das war den Mitarbeitenden auch zumutbar. Sie sollen merken, wenn es vielleicht mal gar nicht lustig ist.
Als unser Sohn Kaspar und seine Partnerin Tina mehr bei uns eingestiegen sind, entstand im Laufe der Zeit eine schwierige Situation, weil sie einige Dinge anders gemacht haben. In dieser Zeit gab es belastende Auseinandersetzungen mit meinem Mann, bis er entschieden hat, sich aus der operativen Leitung zurückzuziehen. Das war dann sehr entspannend und inzwischen ist es für ihn gut so.
Ich denke, Konflikte auszutarieren ist sehr konstruktiv, wenn man wieder zusammenfindet.
Das ist so. Wir haben jetzt eine Zeit, in der wir es sehr schön haben, weil diese Streiterei über das Geschäft, in der kritischen Phase wie vor drei Jahren, nicht mehr vorhanden ist. Das ist sehr schön.
Inwiefern stiftet Ihr gesellschaftlichen Nutzen?
Meinem Eindruck nach hat ein «glücklicher Betrieb» seine Ausstrahlung. Vor kurzem sagte ein Kunde zu mir – er ist etwa 60-jährig – «Wissen Sie, Sie sind die einzige Konstante in meinem Leben. Ich habe alles verändert: Ich habe zweimal geheiratet, alles in meinem Leben ist heute anders als früher, aber Ihren Tee habe ich immer beibehalten und er macht mich immer glücklich.» Ich glaube nicht, dass es nur um den Tee geht, auch wenn wir auf Qualität Wert legen. Meiner Einschätzung nach ist es eher das Gesamtpaket, das unsere Kunden anzieht.
Vor dem Gespräch hast Du gesagt, Du hast bisher nicht so ausdrücklich mitteilen wollen, was Ihr tut und was bei Euch das Besondere ist, die Kunden sollen es eher selbst merken. Was ist denn dieses Gesamtpaket, das Ihr bietet? Wie würdest Du das in Worte fassen?
Ich glaube, unsere Kundinnen und Kunden merken, dass wir lebendig sind. Wir erzählen ihnen, was bei uns läuft, dass zum Beispiel mein Sohn Kaspar gerade in China einkauft und wir immer ein bisschen aufgeregt sind, was er mitbringen wird. Plötzlich ist einiges anders, weil er etwas Neues gelernt hat. Die Kunden lachen dann und meinen, «das müssen Sie uns erzählen, wenn er wieder da ist.» Oder ich sage den Kundinnen, «es tut mir leid, Ihr Tee heißt jetzt nicht mehr so wie früher, wir haben den Namen im Zuge der Übergabe geändert, weil mein Sohn der Ansicht ist, wir müssen es genauso machen, wie die Chinesen.» Die Kunden schätzen es, wenn wir ihnen Zusammenhänge erklären. Wir geben auch nicht vor, alles immer im Griff zu haben. Und wir lachen viel mit unserer Kundschaft. Wir sehen sie auch sich entwickeln. Manche Menschen sind das erste Mal als Kind zu uns gekommen, wachsen zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen heran und bringen eines Tages ihre Freundin mit. Wir haben ganz viele sehr persönliche Kontakte.
Wichtig ist wohl auch, dass wir uns bezüglich des Tees nicht auf Kompromisse einlassen, der muss einfach gut sein. Wir ruhen uns nie auf bereits Erreichtem aus. Vielleicht teilen wir mit unseren Kundinnen auch die Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, dem Nachvollziehbaren. Bei uns ist es ein bisschen wie in einem Krämerladen. Wir schaufeln den Tee noch, Du kannst ihn riechen und hast andere Eindrücke, weil wir Dir vom Tee erzählen. Du musst es nicht selbst auf der Packung lesen. Wir kaufen den Tee ein, er befindet sich in diesen Dosen und in diesen Gläsern, die Kunden kaufen ihn, bereiten ihn zuhause zu und so entsteht eine unmittelbare Verbindung. Es gibt keine tausend Labels oder Verpackungen und es ist bekannt, dass Länggass-Tee nicht einem Großkonzern gehört. Bei vielen Produkten weiß man gar nicht mehr, wohin sie eigentlich gehören. Ich glaube, wir tragen dazu bei, dass die Leute zu unseren Produkten Vertrauen haben.
Vielleicht trägt zum Vertrauen Eurer Kundschaft auch bei, dass Ihr völlig hinter dem steht, was Ihr tut und dafür einsteht?
Ja, das glaube ich auch. Bei allen Fehlern, die passieren und die wir den Kunden auch mitteilen. Wir haben beispielsweise einen Jasmin Silver Needle Tee jahrelang als weißen Tee verkauft. Bis wir eines Tages festgestellt haben, dass es ein grüner Tee ist. Das gab dann natürlich Diskussionen mit den Kundinnen. Und ich sage dann, «es tut mir leid, wir dachten lange Zeit selbst, es sei weißer Tee, aber es ist einfach keiner.» Vielleicht ist es das, was die Kunden auch schätzen.
Berücksichtigt Ihr den Schutz unserer Lebensgrundlagen bei Eurer Art der Geschäftsführung und wie tut Ihr das?
Wir versuchen auf möglichst vielen Ebenen sorgfältig vorzugehen. Sei es beim Einkauf, bei der Verarbeitung und der Verpackung. Wir kaufen direkt bei Familien vor Ort Tee ein und sehen, wie sie ihn produzieren und unterstützen das auch so. Wir kaufen möglichst wenig über den Großhandel. Das scheint mir das Wichtigste. Darüber hinaus haben wir eine eigene Bäckerei, die fast ausschließlich selbst gemahlenes, biologisches Mehl und frische Zutaten verarbeitet. Schwierig ist für uns die ganze Geschichte um die Bio-Label und Zertifizierungen. Was wir tun, entspricht absolut dem Fairtrade, aber es gibt keine Labels, da diese sehr speziellen Tees von kleinen Familienbetrieben häufig im Inland verkauft werden und wir das Glück haben, diesen Tee überhaupt zu bekommen. Eine Zertifizierung könnte keiner bezahlen und daran hat auch niemand Interesse. Wenn aber jemand auf unserer Webseite nach einem Fairtrade-Label sucht, findet er keines. Wir können nur erzählen, dass es sich beispielsweise um einen Tee handelt, der so abgelegen und mit großer Sorgfalt behandelt wird, dass er mindestens ein Demeter Bio-Label verdient hätte.
Die Tees, die Ihr habt, haben keine Labels, weil es ein teures Verfahren ist?
Entweder ist es ein teures Verfahren oder der Bauer selbst, also der Produzent müsste zertifiziert sein. Eine Riesenplantage in Indien kannst Du sofort zertifizieren, weil deren Geschäftsführer ohnehin am Export interessiert sind. Aber mit diesen einzelnen Familien ist es eine ganz andere Geschichte. Wir könnten in unserem Teeregal beispielsweise gewisse Tees aus Indien oder Sril Lanka als Biotee kennzeichnen. Als Konsumentin stehst Du davor und denkst, ich will auf alle Fälle Biotee und nimmst dann aber eigentlich das schlechtere Produkt aus diesem Regal, weil es industriell hergestellter Tee ist. Wir haben eine Familie in Japan, die seit 37 Generationen Tee produziert. Das ist wie ein Kunsthandwerk. Dieser Tee wird sorgfältigst verarbeitet, hat aber kein Label. Wenn Du einen solchen Tee neben einen industriell hergestellten Tee stellst, welchen wählt der Kunde dann? Deshalb schreiben wir es nicht an, selbst wenn ein Tee ein Label hat.
Das lässt mich bei Deiner Frage ein bisschen stolpern, weil ich nur sagen kann, dass wir alles, was wir tun, sehr sorgfältig prüfen. Hier an den Wänden haben wir beispielsweise nur Farben ohne Rückstände; dieser Tisch, an dem wir sitzen, besteht aus geöltem Holz aus der Schweiz. Wenn wir aber alles berücksichtigen würden, dann würden wir nur Pfefferminz- und Kamillentee verkaufen und nicht Tees aus Asien, die eine lange Reise hinter sich haben. Hier sind wir aufgrund der langen Tarnsportwege nicht auf der ganz guten Seite, wenn wir solch ein Produkt importieren.
Was sind Eure Herausforderungen?
Das Thema mit den Biozertifizierungen zum Beispiel ist eine Herausforderung, weil Außenstehende dies immer wieder nicht verstehen. Wir versuchen Papiere zu machen und aufzuklären, aber es gibt Leute, die sehr misstrauisch sind. Irgendwann nützt alles Reden nicht mehr und dann sage ich auch mal, «Sie müssen hier nicht einkaufen. Das ist hier alles freiwillig.» Und gleichzeitig tut es mir leid, denn die Situation hat auch etwas Unbefriedigendes.
Eine andere Herausforderung ist, dass unsere Ideale einen hohen Stellenwert haben. Manchmal sitze ich stundenlang über Arbeitsplänen, um allen Wünschen von Einzelnen sowie den Abläufen des Betriebs gerecht zu werden. Es kommt vor, dass ich denke, ich könnte es mir auch einfacher machen. Aber das will ich nicht. Und ich finde es herausfordernd, mit unserem Geschäft so wie wir es führen, zu bestehen. Ich denke, es geht unserem Betrieb gut, aber wir haben viel gearbeitet und es bleibt schon ein bisschen wenig übrig. Manchmal bin ich mir nicht sicher, ob es so richtig ist.
Außerdem finde ich es herausfordernd, mich nicht selbst auszubeuten – ein besseres Wort ist mir nicht eingefallen – und mich nicht zu sehr hinten anzustellen, um das Gesamte aufrecht zu erhalten. Es ist manchmal nicht so einfach, mich selbst nicht für meine Ideale zu opfern.
Und worauf seid Ihr stolz?
Die Antwort darauf finde ich nicht so leicht. Ich glaube, ich bin auf das gesamte Werk stolz. Meine Art ist es, häufig auch die Dinge zu sehen, die nicht so gut funktionieren und wo ich etwas hätte besser machen können. Aber ich bin stolz, dass wir es geschafft haben, dass der Tee und die Menschen nach wie vor im Mittelpunkt stehen. Dies ist in all den Jahren so gewesen, auch wenn es manchmal große Engpässe gegeben hat. Außerdem kann es in unserem Laden unglaublich chaotisch sein, wenn wir ausgesprochen viel zu tun haben. Aber wenn ein neuer Tee reinkommt, haben plötzlich alle Zeit, ihn zu begutachten und zu probieren. Oder wenn eine Mitarbeitende etwas mit mir besprechen möchte, nehme ich mir Zeit. Ich bin froh, dass wir diese Ausrichtung immer behalten konnten. Und dass wir überlebt haben, darauf bin ich schon auch stolz. Denn manchmal denke ich, wir tun hier etwas, was eigentlich gar nicht geht. Wir haben im TeeRaum beispielsweise dieses kostspielige, handgemachte Geschirr. Jeder Gastronom sagt Dir, in meinem Betrieb kommt das nicht infrage. Und klar sind wir kein normaler Gastronomiebetrieb, aber es gibt Samstage, an denen es bei uns so voll ist und dennoch geht das auch mit unserem Geschirr. Solche Dinge freuen mich, dass wir das so handhaben und dennoch überlebt haben.
Ein bisschen stolz bin ich auch darauf, dass wir in der Schweiz die Teewelt ein wenig verändert haben. Inzwischen gibt es in hunderten von Restaurants guten Tee.
Du hast auch einmal erzählt, dass eine Königin aus einem arabischen Land Tee bei Euch bestellt hat. Das erscheint mir nicht unbedingt naheliegend.
Doch, sobald Du anfängst, große Hotels zu beliefern, liegt das nahe. Wir haben in einem solchen Haus in St. Moritz Tee-Schulungen gemacht und wenn dort Königinnen und Könige guten Tee trinken, dann fragen sie danach.
Hast Du Tipps für beseelte Unternehmerinnen und Unternehmer?
Ich finde es wichtig, unbeirrt dem eigenen Weg zu folgen und gleichzeitig festzustellen, wenn man auf Irrwegen ist. Die Gefahr, das nicht zu merken, ist riesig, wenn es darum geht, etwas zu tun, was nicht gerade üblich ist. In einem solchen Fall muss man bereit sein, beherzt die Richtung zu ändern.
Woran merkt man, dass man sich irrt?
Die große Gefahr besteht darin, dass man es glaubt, wenn die Kasse nicht klingelt. Genau dann drehen viele ab. Natürlich muss jeder leben und überleben, das weiß ich nur zu gut. Wir hatten hier sehr enge Zeiten. Aber es kann nicht richtig sein, dann alle Ideale über Bord zu werfen. Dann gilt es Maßnahmen zu ergreifen und die eigene Idee weiterzuverfolgen. Am Anfang hatten wir zum Beispiel viel zu wenig Einnahmen. Uns wurde empfohlen, ein paar nette Accessoires zu verkaufen. Wenn Du das tust, klingelt zwar die Kasse, aber Du bist dann eine Geschenkboutique und damit austauschbar. Dann folgst Du Deiner Leidenschaft nicht mehr. Ich finde, auch wenn die Kasse nicht klingelt, solltest Du Deine Hauptrichtung nicht ändern. Und ich glaube, dass man spürt, wenn man sich auf einem Irrweg befindet. Im Geschäftsleben sollte das Geld nicht der führende Faktor sein. Wir haben Zeiten erlebt, da wussten wir am Ende des Monats nicht, wie wir unsere Rechnungen zahlen sollen und das geht dann schon ans Existenzielle. Man kann seine Ansprüche selbst deutlich herunterschrauben und sich lange nicht viel leisten und dennoch glücklich sein. Meiner Einschätzung nach geht das aber nur am Anfang. Wenn der Betrieb größer wird und Du Löhne zahlen musst, ist die Situation eine andere. Auf gar keinen Fall willst Du Deinen Mitarbeitenden kein Gehalt zahlen und dann steht auch schnell die geschäftliche Existenz auf dem Spiel. Wir haben alles auf eine Karte gesetzt. Ich kann schon lange nicht mehr in meinen Beruf zurück. Gerhard auch nicht. Es wäre auch nicht so einfach gewesen, etwas anderes zu finden, noch dazu mit bereits vier Kindern. Dennoch glaube ich, dass das Geld nicht regieren darf. Das finde ich in der Geschäftsführung eine große Herausforderung.
Und Humor finde ich wichtig. Für mich bedeutet das, mit einem Blick von außen auf das Ganze zu schauen. «Es geht nur um Tee», ist einer der Sprüche, der bei uns immer wieder zitiert wird. Die Welt geht nicht unter, wenn wir einen Fehler machen oder wenn ein Kunde seinen Lieblingstee einmal nicht bekommen kann. Voll in der Tätigkeit zu sein und immer wieder in die Außensicht wechseln zu können, fordert uns schon auch heraus.
Wie schafft es ein Unternehmen seine Vision sichtbar zu machen und wie macht Ihr das?
Ja, das ist die große Frage. Ich empfehle, im Geschäftsleben keine Maske zu tragen, bzw. die Menschen ein bisschen hinter die Maske schauen lassen. Das geht nur bei einer gewissen Offenheit. Dann können Außenstehende auch andere Fragen stellen. Wichtig ist es auch, Inputs von Kunden oder Lieferanten aufzunehmen und einfließen zu lassen. Bei uns gibt es zum Beispiel kein einziges Verbot, was Mitarbeitende nicht sagen dürfen. Und es gibt nichts, das die Mitarbeitenden nicht nach außen tragen können. Dafür sehen wir keinen Grund. Vielleicht machen wir so unsere Vision sichtbar.
Ich gehe davon aus, wenn man sehr authentisch dafür das einsteht, was man richtig und gut findet, dann hat das zur Folge, dass die Vision sichtbar wird. Das tut Ihr ja.
Wahrscheinlich ja.
Und zwar an ganz verschiedenen Stellen.
Ja.
Mein Eindruck ist, dass Eure Werte und Eure Haltungen eine sehr zentrale Rolle spielen und sie in vielem Richtschnur sind.
Ja, das glaube ich auch.
Und dass solche Fragen in Eurem Falle wichtiger sind, als zum Beispiel die Finanzen. Gleichzeitig heisst das nicht, die Finanzen nicht im Blick haben.
Ja, das ist wahr. Wenn ich mir überlege, worüber wir hier im Betrieb sprechen. Häufig ist Tee ein Thema, aber wir reden auch viel über Haltungen, über Werte und wie wir mit Kunden umgehen.
Gibt es noch etwas oder gibt es eine Frage, die Dir noch wichtig wäre?
Zurzeit gerade nicht, vielleicht heute Abend (lacht).
Ich danke Dir vielmals für das Gespräch.
MCC Maurer Consulting & Coaching