Interview mit Erwin Thoma

| Interview mit Erwin Thoma

 

Interview mit Erwin Thoma, Gründer von Thoma Holz GmbH in Goldegg, Österreich im Gespräch mit Christel Maurer, Juli 2018.

Erwin Thoma gründete 1990 seine Firma Thoma Holz GmbH in Goldegg, Österreich. Das Unternehmen erstellt Häuser aus Holz ohne Leim und Metall, die sich selbst heizen und kühlen. Die patentierte Bausystem Holz100 macht Passivhäuser ohne Dämmung und komplizierte Haustechnik möglich. Im firmeneigenen Forschungszentrum in Goldegg und an drei weiteren Standorten in Österreich – Stadl an der Mur, Gußwerk und Neukirchen– sowie im deutschen Lahr sind insgesamt etwa 120 Mitarbeitende tätig. Darüber hinaus arbeitet Thoma Holz GmbH mit zahlreichen Partnern in verschiedenen Ländern zusammen.

Aktuell führt Erwin Thoma das Unternehmen mit seinem Sohn Florian. Bisher wurden über 1000 Häuser in 33 Ländern erstellt. Das Unternehmen erhielt verschiedene Auszeichnungen für Innovation, umweltgerechtes wirtschaften sowie familienfreundliche Unternehmensführung. Erwin Thoma ist Autor mehrerer Bücher.

Ich bin auf Erwin Thoma und sein Unternehmen durch einen Hinweis aus meinem persönlichen Umfeld aufmerksam geworden. Wir führen das Gespräch im neu erstellten Baumhaus auf dem Firmengelände in Goldegg.

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Herr Thoma, wie kam es, dass Sie die Thoma-Holz GmbH gegründet haben?

Das ist eine wunderliche Geschichte, denn Unternehmer sein war nicht mein Lebensplan. In jungen Jahren war ich Förster – das war mein Traumberuf. Ich wollte mich nie selbstständig machen. Nach meiner Ausbildung habe ich beim Staatsforst gearbeitet und war enttäuscht, denn die Arbeit dort war sehr bürokratisch. Das war nicht das, was ich mir vorgestellt hatte. Zu meiner Frau, die ich früh kennenlernte – wir sind seit meinem 18. Lebensjahr ein Paar – habe ich damals gesagt, da bleibe ich nicht. Ich hörte dann von einer freien Stelle als Förster. Das war sehr ungewöhnlich, weil es normalerweise auf jeden frei werdenden Posten sehr viele Bewerber gab. Zu dieser Zeit hat man unglaublich lange auf einen Försterposten warten müssen, aber es gab eine Stelle, für die kein Förster gefunden wurde. Das dazugehörige Forsthaus war weit weg von jeder Zivilisation und lag so einsam, dass man zum Gemeindeamt 80 km fahren musste und im Winter wochenlang eingeschneit war. Jung und verliebt wie wir waren, sagte meine Frau, sie gehe überall mit mir hin – eine vielleicht gefährliche Aussage (lacht). Ich bewarb mich und wurde der jüngste Förster Österreichs. Und es war fantastisch! Das Tal lag im Karwendelgebirge in Tirol und war nur über Deutschland erreichbar. Damals gab es noch keine EU und wir hatten Zollschranken. Wir blieben fünf Jahre dort, bis mein ältester Sohn zur Schule kam. Da wir so lange im Karwendelgebirge ausgeharrt hatten, erhielt ich anschliessend viel früher, als dies sonst üblich war, von den Bundesforsten eine Stelle angeboten, die näher an der Zivilisation lag. In den fünf Jahren als Förster ist jedoch viel passiert und ich habe meinen Traum entwickelt, so dass ich dieses Stellenangebot abgelehnt habe.

Aufgrund meiner intensiven Erfahrung im Wald, ist in mir die Idee gereift, dass in Bäumen viel mehr verborgen liegt, als Bretter, die in einem Sägewerk herausgeschnitten werden. So habe ich den abenteuerlichen Plan gefasst und mit dem Grossvater meiner Frau – zu dem ich ein ganz besonderes Verhältnis hatte – eine Firma gegründet. Er war Zimmermann und gehörte zu jener Generation, die noch das alte Handwerk beherrscht. Dieser Mann, der mit seiner Arbeitsweise als nicht mehr zeitgemäss galt, hat unglaubliche Häuser gebaut und Dinge hinterlassen, die man heute nicht mehr kann. Immer wenn ich mich in einem seiner Häuser aufhielt, habe ich mich unglaublich wohl gefühlt. In einem modernen Haus war das nicht der Fall. Mich hat fasziniert, was er aus Holz gemacht hat. Das ging in die Richtung, von der ich geträumt habe. Ich sagte zu ihm, «Opa, du musst mir beibringen, was du machst!» Und dann haben wir dieses Unternehmen begonnen. Aus meiner heutigen Sicht und jetzigen Erfahrung war das ein Wahnsinnsakt. Eigentlich tollkühn. Es gab keinen Business Plan, ich hatte wenig Ahnung und war vor allem begeistert.

Nach aussen war ich der Unternehmer und Grossvater war mein Berater, denn wenn Du über 80 bist, nimmt Dich unsere Gesellschaft nicht mehr für voll. Ein Mensch, der in diesem Alter eine Firma gründet, wird als nicht zurechnungsfähig betrachtet. So habe ich die Firma gegründet und Grossvater stand an meiner Seite. Wir hatten keinen Plan, ob die Firma gross oder klein oder was auch immer werden soll, klar war uns nur: Es muss gut werden!

Sie haben es ja bereits angedeutet: Hatten Sie eine bestimmte Vision, eine bestimmte Idee, die Sie umsetzen wollten?

Ich habe in meiner Zeit als Förster viele Tage, Wochen und Monate alleine im Wald verbracht. Das war faszinierend. Damals habe ich es noch nicht benennen können, weil mir das Wissen fehlte, aber mir war klar, dass sich in den Bäumen etwas abspielt, das viel wertvoller ist, als das, was wir – zu damaliger Zeit – nutzen oder in unser Leben hinein genommen haben. Und das meine ich ganz praktisch. Es gibt Menschen, die machen aus einem halben Kilo Holz eine Geige und erschaffen damit einen Kulturschatz für Jahrhunderte. In unserer Wirtschaft bringen wir Holz in Spanplattenfabriken und stellen Wegwerfmöbel her, die auf dem Sondermüll landen. Ich fand, das kann es doch nicht sein, dass wir mit den wunderbaren Geschenken der Natur so umgehen. Das war meine Motivation. Ich habe eine Reise ins Unbekannte zu den Bäumen unternommen.

Und warum tun Sie, was sie tun, im Rahmen Ihrer unternehmerischen Aktivitäten?

Schauen Sie, mich hat mal jemand gefragt, was ist das Wichtigste, das ich jungen Menschen, die eine Firma gründen, empfehle? Ich habe ja auch Betriebswirtschaft studiert und – was noch viel wichtiger ist – drei Jahrzehnte Erfahrungen als Unternehmer machen dürfen. Aber am wichtigsten ist es, der Stimme des Herzens zu folgen. Wenn junge Leute darüber nachdenken: Was kann ich tun, damit ich schnell viel Geld verdiene; ein solches Vorhaben kann kein gutes Ende nehmen. Das Leben ist ein sehr langer Weg, da ist es entscheidend, aus welchen Quellen Du Deine Kraft schöpfst. Die Begeisterung, die aus einer tiefen Überzeugung rührt, ist die wichtigste Quelle, die wir haben. Wenn Du nur aus rationalen Gefühlen heraus handelst, aus der Gier nach Geld oder ähnlichem, diese Quelle versiegt eines Tages. Das hältst Du nicht durch.

Was begeistert Sie am allermeisten?

Ich glaube das Schönste ist, wenn man sich mit dem, was man tut und mit allem, was einen umgibt, verbunden fühlt. Mit allen Pflanzen und Lebewesen und mit allem um uns herum. Wenn man sich mit dem, was man tut, verbunden fühlen kann, ist das eine Gnade. Das hat mehr Bedeutung als das Erreichen bestimmter Ziele.

Ihre Firma steht ja auch für außerordentliche Qualität und Sie leisten in verschiedener Hinsicht Pionierarbeit. Sind Sie auch sehr ambitioniert, denn vermutlich liegt Ihnen an außerordentlicher Qualität, oder?

Für mich ist Qualität kein Selbstzweck. Ich würde nicht sagen, dass wir Qualität bieten, um Mitbewerbern voraus zu sein. Wir bemühen uns, Entscheidung so zu treffen, dass es auch noch Generationen nach uns gute Entscheidungen gewesen sind. Wenn man so denkt, ergibt sich daraus glücklicherweise eine sehr, sehr hohe Qualität. Wenn Sie so denken, können Sie keinen Ramsch machen. Ein Haus oder Bauwerk muss gut für den sein, der es bekommt, ebenso wie für seine Kinder und Enkelkinder. Es darf kein Müll drin sein. Das Haus darf nicht belasten und die Betriebskosten müssen niedrig sein. Folglich muss ein Haus wartungsfrei und energieautark sein und dann ergeben sich Qualitätsmerkmale, die heute unsere Arbeit kennzeichnen und die mit Sicherheit weit über dem Niveau unserer Branche liegen. In unserer Wirtschaft verfolgen wir heute die falschen Rahmenbedingungen. Wenn die Maxime ist, möglichst kurzfristig Profit zu maximieren, kann das langfristig kein nachhaltig gutes Ergebnis zur Folge haben.

Als Unternehmer tun Sie ja vieles anders als ein konventioneller Betrieb und verstoßen auch gegen Regeln, die heute in der Geschäftswelt gelten. Dazu braucht es auch Mut, oder?

Ja sicher.

Was hat Ihnen die Kraft verliehen, von Ihrem Weg überzeugt zu sein und diesen Weg konsequent zu gehen?

Wie ich vorhin meinte, man muss sich immer die Frage stellen – und das ist eine sehr grundlegende Frage, die sich ein Mensch stellen kann – aus welchen Quellen schöpfe ich? Von der Beantwortung dieser Frage hängt ab, was man erreicht, ob man gesund bleibt oder krank wird und so weiter. Diese Frage ist von unglaublicher Tragweite. Ich habe es vorhin beschrieben: Wenn es einem Menschen gegönnt ist, oder wenn es ihm glückt, zu erkennen, es lohnt sich, eine Verbundenheit mit dieser Schöpfung anzustreben, dann stehen ihm oder ihr andere Kraftquellen zur Verfügung, als diejenigen, die man heute in der Wirtschaft kennt. Wenn der Antrieb dagegen nur aus der Zahl in einer Bilanz oder dem Shareholder-Value besteht, erscheint mir das eher armselig. Ich würde mich damit nicht begnügen. Das hat nichts mit unbescheiden sein zu tun, es ist einfach traurig, wenn ein Mensch sich damit zufrieden gibt, Geld anzuhäufen. Das Leben ist weiter und bunter. Die Seele soll mitwachsen. Es geht im Leben nicht nur darum, die materielle Ebene zu entwickeln, sondern auch die seelische. Die Seele soll so weit werden, wie das ganze Dasein. Das ist eigentlich ein Ziel, nicht das Anhäufen von materiellen Dingen.

Inwiefern unterscheidet sich Ihre Firma von einer konventionell geführten Firma?

Schauen Sie, wir bewegen uns natürlich auch in diesem Wirtschaftssystem. Dem kann sich keiner entziehen. Ich muss jeden Monat die Verbindlichkeiten und Löhne zahlen. Ich muss schauen, dass die Mitarbeiter nicht nur ein gutes Gehalt bekommen, sondern auch, dass die gesamten Rahmenbedingungen stimmen. Ich muss alle Normen einhalten und so weiter. Der größte Unterschied, den ich zu anderen Firmen sehe, ist, dass wir die Zahlen und die Bilanz als Werkzeug sehen. Wir lehnen Geld nicht ab, aber wir betrachten es als Werkzeug und nicht als unser Ziel. Es macht einen Unterschied, ob Sie eine Bilanz als Werkzeug begreifen, als Mittel zum Zweck, oder ob Sie diese als Ziel Ihres Handelns begreifen. Wenn Sie danach handeln, dass der Zweck die Mittel heiligt und es Ihnen egal ist, was Sie tun, wenn am Ende des Jahres ein bestimmter Gewinn in der Bilanz steht, dann werden Sie ganz anders an die Sache herangehen, als wenn Sie in einem bestimmten Bereich etwas Gutes leisten wollen und dazu eine gesunde Bilanz brauchen. Für mich hat die Bilanz die gleiche Bedeutung, wie für einen Zimmermann eine Axt oder für einen Tischler ein Hobel. Eine Axt, die nicht geschliffen und nicht scharf ist, eine Säge, die nicht gewartet wird, mit der kann ich keinen Baum fällen. Das ist selbstverständlich. Ich kenne keinen einzigen Holzfäller, der auf die Idee käme, dass die Säge das Ziel seines Handelns sei und dessen Ziel es ist, am Ende seines Lebens tausend Sägen im Schuppen zu haben. Das ist völliger Blödsinn. Ein Holzfäller braucht eine gute Säge und vielleicht noch eine zweite oder dritte. Sie müssen in bestem Zustand sein, um ihrem Zweck zu entsprechen. So verstehen wir das Thema Geld, die Zahlen und Bilanzen. In diesem Bereich unterscheiden wir uns schon von anderen Unternehmen.

Das wirkt sich offenbar nicht nur auf Ihr Produkt aus, sondern auch auf Ihre Firmenführung und die Kultur Ihrer Firma, oder?

Ja. Dabei können wir uns, wie erwähnt, den bestehenden Rahmenbedingungen in der Wirtschaft nicht entziehen. Das ist auch gut so. Und auch hier gibt es das ganz normale tägliche Leben, das wir einhalten, wie jeder andere gute Betrieb. Aber wir sind unter anderem mehrfach als familienfreundlichster Betrieb ausgezeichnet worden. Wenn es darum geht, ganzheitlich im Sinne des Gemeinwohls zu handeln, dann ist es selbstverständlich, dass der Mensch mehr ist als ein Produktionsfaktor. Ich will ja nicht behaupten, dass wir die einzigen sind, die so denken und glaube schon, dass es mehr Unternehmer gibt, die sehr verantwortlich sozial denken, gerade im Mittelstand. Das Problem, die Würde des Menschen außer Acht zu lassen, indem man sich extrem am Shareholder-Value ausrichtet, sehe ich vor allem in Strukturen grosser Firmen, in denen die persönliche Verantwortung nicht mehr erkennbar ist.

Wobei es auch kleine Firmen gibt, in denen die Menschenwürde nicht viel zählt.

Schwarze Schafe gibt es überall, in jeder Branche und in allen Berufen.

Inwiefern stiftet Ihre Firma gesellschaftlichen Nutzen?

In meinen Augen hat eine Firma, die keinen gesellschaftlichen Nutzen stiftet, keine Existenzberechtigung. Ich glaube, eine Firma, die sich nicht überlegt, wie ihr Tun auf das Gemeinwohl wirkt, hat langfristig keine Daseinsberechtigung. Damit kritisiere ich unser Wirtschaftssystem. Wir haben heute ein System, das es zulässt, dass sich eine Firma darüber keine Gedanken macht. Das ist ein Problem, ein großes Problem. Ich sage, selbstverständlich muss sich jedes Unternehmen darüber Gedanken machen, was richtet mein Tun an. Wie ich vorhin schon erwähnte, für mich ist es das Wichtigste, dass man darüber nachdenkt, wie wirkt sich mein Handeln nicht nur auf mich selbst, sondern auch auf die Generationen nach mir aus. Diese Fragen stellen wir uns natürlich. Und wenn wir Häuser bauen, die energieautark sind, die sich ohne Dämmstoff, ohne Technik während des ganzen Jahres selbst heizen und kühlen, dann rührt das an den größten Problemen, die die Menschheit heute hat. Dabei denke ich an die ökologische Debatte oder auch daran, dass auf diesem Globus praktisch alle Kriege, die geführt werden, letztlich Kriege um Rohstoffe sind. Es ist ja nicht wahr, dass es darum ginge, dass das Christentum gegen den Islam kämpft. Das ist alles Show, in Wahrheit geht es um Rohstoffe und um Bodenschätze. Eine ganz große Aufgabe unserer Generation ist es, dafür zu sorgen, dass wir in den wohlhabenden Ländern unseren Wohlstand halten können, ohne dass wir woanders mit Mord und Todschlag ausbeuten. Das heißt, es geht um einen Weg von der Wegwerfgesellschaft hin zur Kreislaufwirtschaft. Um damit weg von der Rohstoffausbeutung hin zur Rohstoffautarkie und Energieautarkie. Ein Haus darf keinen Tropfen Erdöl verbrennen, damit es im Winter warm und im Sommer kühl ist. Das ist mit Sonnenenergie zu leisten. Wir haben das alles zu 100 Prozent umgesetzt und das ist natürlich ein großer gesellschaftlicher Nutzen. Ich bin sehr glücklich, dass uns hier im Forschungszentrum viele Entwicklungen und Patente gelungen sind, die uns in diese Richtung geführt haben.

Gibt es auch hinsichtlich Ihrer Unternehmensführung Aspekte, von denen Sie sagen würden, dass Sie zu gesellschaftlichem Nutzen beitragen?

Ja, wir sind ein klassisches Familienunternehmen. Wir beschäftigen jetzt rund 120 Mitarbeiter, ich führe das Geschäft gemeinsam mit meinem Sohn. In unseren verschiedenen Betriebsstätten, den Produktionswerken, sind die Betriebsleiter sehr selbstständig mit weitgehender Autonomie tätig. Ich finde flache Hierarchien ganz wichtig und dass jeder mit mir reden kann. Das hängt natürlich immer auch mit der Entwicklungsform einer Firma zusammen. Bei einem Unternehmen mit 20.000 Mitarbeitenden geht das nicht mehr. Wir sind glücklich, dass wir das momentan so leben können.

Was sind Ihre Herausforderungen?

Natürlich gibt es viele Herausforderungen. Aber wenn Sie mich persönlich ansprechen, es ist eine Herausforderung, immer diese Balance zu finden zwischen Spannung und Entspannung. Zwischen etwas geben und wieder etwas bekommen. Zwischen Ruhezeit und Arbeitszeit. Wenn Sie in Verantwortung stehen und jeden Tag viele interessante Projekte haben und interessante Menschen kommen, ist das eine Herausforderung. Sie haben es ja erlebt, wie schwierig es war, diesen Termin zu bekommen.

Und unternehmerisch?

Wie meinen Sie das?

Sie setzen ja eine sehr eigene Geschäftsidee um und unser Wirtschaftssystem ist so, wie es ist. Ich kann mir vorstellen, dass dies Spannungsfelder erzeugt, die für Sie auch eine Herausforderung darstellen.

Ja natürlich, solche hat es genügend gegeben. In den ersten zehn Jahre sind wir verschrien worden, weil niemand verstanden hat, was wir wollten. Als ‹grüner Spinner› und alles Mögliche bin ich bezeichnet worden. Dann kamen zehn Jahre, in denen wir nicht mehr lächerlich gemacht werden konnten, weil wir grosse und tolle Projekte hatten. In diesen Jahren wurden Unwahrheiten über uns erzählt, die bis zur Verleumdung gingen. Es hieß, unser System funktioniere nicht und unser Mondholz beispielsweise sei ein wissenschaftlich nicht erwiesener Blödsinn, den es nicht brauche. Solche Äusserungen gibt es heute nur noch ganz selten. Inzwischen werden wir anerkannt. So ist es immer, diese Verlaufskurve zeigt sich bei jedem, der einen neuen Weg geht. Zuerst wirst Du verlacht, dann verspottet und danach haben es alle schon gewusst. Das haben wir natürlich auch erlebt. In den verschiedenen Zyklen dieser Kurve tauchen die unterschiedlichsten Themen auf. Wir haben zum Beispiel gesagt, Holz muss lagern. Es war ein Riesenthema, den Banken zu erklären, dass wir den Rohstoffverbrauch für zwei Jahre ins Lager legen. Wo doch die gesamte Wirtschaft nicht mal Lagerbestände für 14 Tage hat. Vielerorts besteht das Lager einzig aus dem Material, das in Lastwagen auf den Straßen bei Bedarf herangefahren wird. Unsere Lagerhaltung widerspricht dem logistischen Denken unserer Wirtschaft völlig. Ein anderes Thema ist, dass wir unter keinen Umständen irgendwelche Chemikalien in der Verbindungstechnik verwenden. Wir verzichten auf den Einsatz von Leimen und Klebstoffen, weil sie krebserregend sind und die Atemwege belasten. Das wollen wir nicht. Es hieß dann, man müsse ja nicht so übertreiben, ein gesunder Mensch halte das aus und all das. Es ist natürlich eine Herausforderung, unbeirrt den eigenen Weg zu gehen. Aber wenn man das schafft…

Sie haben ja ständig neue Lösungen entwickelt…

Ja, klar, selbstverständlich. Das ist eine never ending story. Entwicklung hört nie auf, das ist ganz klar. Deswegen betreiben wir hier auch ein Forschungszentrum.

Wahrscheinlich gäbe es zu den Herausforderungen noch viel zu sagen.

Über die Herausforderungen könnten wir den ganzen Tag reden. Ich könnte Ihnen viele Geschichten erzählen über Forschungsprojekte, Dinge die wir versucht und die nicht funktioniert haben. Und natürlich haben wir viel Geld in den Sand gesetzt, selbstverständlich! Aber ein noch größerer Fehler wäre es gewesen, nichts zu tun. Den größten Fehler macht der, der nichts tut. Forschen hat immer mit Scheitern zu tun. Wer sich in das Feld der Forschung begibt, muss wissen, wenn eines von zehn Projekten ein Volltreffer wird, dann hat es sich gelohnt. Wissen muss man auch, dass es in der Forschung keine schnellen Erfolge gibt. Es ist eine Illusion, ein Patent zu entwickeln und zum Millionär zu werden. Das ist Blödsinn. Da sind wir wieder bei den Quellen des eigenen Tuns. Wenn Du Forschung betreibst, um schnelles Geld zu machen, dann lass die Finger davon. Dafür eignet sich Forschung nicht. Selbst wenn man eine große Entwicklung macht, es dauert meist Jahrzehnte, bis sie in ein marktfähiges Produkt übertragen wird.

Und worauf sind Sie stolz?

Stolz, das ist so ein Wort. Ich würde eher sagen, ich bin dankbar dafür, dass es mir gelungen ist, meinen Weg unbeirrt zu gehen, so dass wir von unserem Kurs nie abgewichen sind. Dafür bin ich dankbar. Weil uns das dorthin gebracht, wo wir heute sind.

Gab es Zeiten, in denen es zur Frage stand, ob Sie von ihrem Weg abweichen sollen?

Ja, selbstverständlich hat es die gegeben. Wir sind über Jahre existenziell an der Kante marschiert. Und natürlich gibt es dann ganz dringende Fragen. Wenn Du zur Bank gehst und sagst, jetzt brauche ich wieder einen Kredit. Und die sagen, wozu denn? Bau doch Dein Lager ab oder mach anderswo einen Kompromiss. Ich bin, um die Qualität zu wahren, immer bei einem Nein geblieben. Damit wir bei unserer Qualität bleiben, musste ich diesen Weg gehen. Aber selbstverständlich ist es ein ständiger Kampf gewesen. Es braucht schon ein sehr klares Bild vor Augen. Wenn Du das Bild verlierst, gleitest Du ab und verlierst Deinen Weg.

Warum konnten Sie immer so klar bleiben?

Damit sind wir wieder am Anfang. In einem Unternehmen ist es sehr wichtig, dass man seine Ziele kennt. Wenn wir eine Strategiesitzung haben, kommen wir auch heute noch immer wieder auf unsere Ziele zurück und was uns im Kern ausmacht. Warum sind wir in diesem Unternehmen? Es ist ganz wesentlich, dass man das nie aus den Augen verliert. Wir wollen Häuser bauen, die die Bauwirtschaft verändern. Wir wollen dafür sorgen, dass Häuser den Menschen gesünder machen und energieautark bewohnt werden können. Wir wollen, dass Häuser werthaltige und ressourcenschonende ‹Materialbanken› sind. Kurz gesagt wollen wir Häuser analog zum Baum bauen für Städte, die Wäldern gleichen, mit Intelligenz und Liebe zur Schöpfung. Nicht aus einer Profitgier, die uns selbst sowie die nächsten Generationen ins Unheil stürzt. Das haben wir nie aus den Augen verloren. Wenn man ein Ziel so klar definiert, daran glaubt und dafür einsteht, dann besteht die Chance, diesen Weg auch einzuhalten. Wenn ich eine Bergtour mache und meinen Weg nicht kenne, komme ich ab.

In guten Zeiten auf dem Weg zu bleiben, ist ja nicht so schwierig, aber dann, wenn es eng und schwierig wird, den eingeschlagenen Weg beizubehalten …

Es gibt keinen Unternehmer, der nicht auch durch schwierige und enge Phasen gehen muss.

Und was wünschen Sie sich hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung?

Wir müssen als Menschen zweifellos die Rahmenbedingungen ändern und die Folgen unseres Handelns über Generationen hinweg betrachten. Es hat ja viele Kulturen und Völker vor uns gegeben, die das ganz konsequent umgesetzt haben. Von indigenen Völkern ist bekannt, dass sie strategische Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt getroffen haben, welche Auswirkungen hat unser Handeln für die siebte Generation nach uns. Dort müssen wir wieder hin. Wir müssen – und es ist völlig wurscht, mit welchem Vokabular man das ausdrückt –unsere Schöpfung wieder in Ordnung bringen. Wir müssen dieses äußere Haus in Ordnung bringen. Ich bin überzeugt, die Wirtschaft und auch die Industrie sind per se nichts Schlechtes. Wirtschaft ist etwas Gutes. Es wird nur dann schlecht, wenn wir die Ziele aus den Augen verlieren und wenn wir finanziellen Profit zum einzigen Ziel erheben. Wir müssen wieder sagen, wir wollen ganzheitlichen Erfolg und nicht nur Machtfantasien ausleben. Das ist das Wichtigste, das wir in unserer Wirtschaft tun müssen. Anders gesagt, wir müssen wieder in die Verbindung mit der Natur kommen. Wir müssen begreifen, dass die Natur und diese Erde ein Ort der Fülle sind und nicht des Mangels. Es gibt hier tausendmal mehr Energie als die Menschheit brauchen kann. Es gibt für zehnmal so viele Menschen als heute auf der Erde leben, genügend Nahrungsmittel. Wir müssen die Bodenfruchtbarkeit und die Artenvielfalt erhalten. Es macht überhaupt keinen Sinn, dass alle nur Filet essen wollen. Wir müssen es anders anstellen, dann gibt die Erde für alle genug her. Es gibt überhaupt keinen Grund, dass ein Mensch auf dieser Welt Krieg führt. Man muss sich das mal vorstellen – und ich kann Ihnen viele solcher Zahlen nennen: Wenn man allein das Rüstungsbudget der USA anschaut, ein Zehntel jährlich davon, was die USA für die Vernichtung, für Mordwaffen ausgibt, würde reichen, damit niemand mehr auf der Erde Hunger leidet. An diesem Beispiel sieht man, wie falsch wir die Prioritäten setzen. Die vermeintlich unvermeidlichen Probleme wären alle vermeidbar. Das gilt auch für den Klimawandel. Alles das wäre vermeidlich. Wir dürfen nicht müde werden und nicht nur irgendwelche Theorien schmieden, sondern einfach durch unser Tun zeigen: Es geht! Wir sitzen hier gerade in einem Baumhaus, in den Baumkronen oben. Wenn wir in der Kindheit etwas ausgebrütet haben, sind wir immer ins Baumhaus gegangen. Da war man weit weg von der Erwachsenenwelt und konnte in Ruhe Ideen entwickeln und Sehnsüchte ausleben. Vor diesem Hintergrund haben wir auch dieses Baumhaus gebaut. Ich dachte, das ist ein schöner Platz für das Interview. Wir müssen uns wieder solche Baumhäuser schaffen, wo wir Gedanken entwickeln, die dem Leben dienen. Darauf kommt es an und das wünsche ich mir.

Gibt es auch Dinge, die sich für Ihre Firma wünschen?

Ein Unternehmen braucht immer den Fleiß und die Begeisterung aller Mitarbeitenden. Es hilft nichts, wenn oben einer alleine sitzt, der begeistert ist und keiner versteht es. Und diesen Zusammenhalt einer Familie, wie wir ihn haben, von dem wünsche ich mir, dass er uns weiterhin erhalten bleibt. Dann mache ich mir keine Sorgen. In den letzten Jahrzehnten habe ich gelernt: Wenn Sie sich darum bemühen, dass Ihr Tun für die anderen gut ist, dann werden sich auch die anderen für Sie bemühen. Das ist ein Naturgesetz, wie Wasser, das von oben nach unten fließt.
 
Lieber Herr Thoma, ich danke Ihnen für das Gespräch.

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